Was Mutter sein heißen könnte

Gedanken zu Joh 2,1-11 (Hochzeit zu Kanaan)

Als ich die Bibelstelle gelesen habe, war mein erster Gedanke – alle Mütter mögen mir das verzeihen - typisch Mutter!

Da kümmert Maria sich um Sachen, die sie eigentlich nichts angehen (nämlich, dass der Wein ausgeht), da übergeht sie Jesu Einwand, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist einfach und bringt ihn so dazu, etwas zu tun, wozu er eigentlich noch nicht bereit ist.

Da hab ich etwas wiederentdeckt, das mir aus meiner Geschichte auch nicht fremd ist: dass andere wussten, was ich tun soll, was gut für mich ist, dass ich mich zu etwas gedrängt gefühlt habe, ...
Das ist eine Erfahrung, die wahrscheinlich die meisten von uns immer wieder einmal gemacht haben, und nicht nur mit unseren Eltern.

Doch als ordentliche Feministin hab ich mir dann gedacht: das kann doch nicht alles sein, was du über Mütter und ihre Qualitäten denkst.
Und als nächstes sind mir dann die Mailänder Philosophinnen eingefallen, die davon sprechen, dass jede Frau eine Mutter braucht (und das muss nicht die leibliche sein), um „groß zu werden“. Und dieses Großwerden ist in einem sehr umfassenden Sinn gemeint.

Und siehe da – eigentlich kann man die Bibelstelle auch so lesen:
Vielleicht war es der Anstoß, den Jesus gebraucht hat, die Ermutigung, die notwendig war, dass er erstmals etwas tat, was wir als „Wunder“ bezeichnen. Vielleicht hat er es gebraucht, dass seine Mutter daran geglaubt hat, ihm zugetraut hat, dass er in dieser Situation etwas tun kann.

Denn auch das kenne ich: dass ich es brauche, dass andere an mich glauben, mir etwas zutrauen, was ich mir vielleicht noch nicht zutraue, dass andere in mir Fähigkeiten entdecken und sie mir zusagen, die ich selbst noch nicht sehen kann.

Mutter sein kann dann heißen: die Entwicklung eines Menschen zu begleiten und zu fördern. Zu erkennen, was in einem Menschen angelegt ist, und ihm oder ihr zu helfen, es selbst auch zu entdecken und sich zuzutrauen, es auch auszuprobieren.

Und es heißt auch, das Kind für etwas ganz Besonderes halten. Eric Emmanuel Schmitt schreibt in einem seiner Bücher, dass jedes Kind, das sich geliebt erlebt, sich in seinen ersten Jahren in gewisser Weise für göttlich hält. In dem Sinn, dass es sich alles zutraut, meint ein Recht auf alles zu haben, sich umsorgt, geschützt, anerkannt weiß.

Es bleibt uns nicht erspart, dass wir im Laufe des Lebens sehr eindrücklich erleben, wo unsere Grenzen sind, aber im besten Fall bleibt uns ein Rest dieses Glaubens erhalten.

Natürlich waren unsere Mütter, unsere Eltern oft nicht imstande, uns so zu sehen, wie wir wirklich sind, sondern haben versucht, uns zu den Kindern zu machen, die sie gerne haben wollten.
Oft haben sie unser Tempo, unseren Rhythmus, unsere Eigenarten nicht respektiert. Aber ganz offensichtlich haben sie uns immer wieder auch ermutigt, gefördert, uns etwas zugetraut, denn sonst hätten wir nicht all das gelernt, was wir können.

Und erwachsen werden heißt für mich auch, dass ich für mich selbst Verantwortung übernehme und mir Menschen suche, die für mich Mütter in diesem Sinn werden können. Menschen, die uns helfen, mehr die zu werden, die wir eigentlich sind. Ich bin im Laufe meines Lebens etlichen Frauen und auch einigen Männern begegnet, die in diesem Sinn Mütter und Väter für mich geworden sind.

Und vielleicht gerade weil ich selbst keine Kinder habe, finde ich es sehr schön, dass auch ich in diesem Sinn Mutter für Menschen geworden bin. Dass ich in der Begleitung manchmal zu derjenigen werde, die einer Frau hilft, etwas in sich zu entdecken, anzuschauen, etwas zu leben, das sie sich bisher nicht getraut hat.

Das geschieht dann, wenn wir einander Autorität geben, wenn wir anerkennen und benennen, dass ich von jemand anderem etwas brauche, etwas lernen kann. Und wenn der- oder diejenige dies dann nicht voll Bescheidenheit abtut, sondern diese Autorität auch nimmt und so für den/die andere so Mutter wird oder Lehrer*in oder geistliche Begleiter*in.

Und es ist wichtig für uns. Denn nur, wenn wir Menschen finden, die uns helfen, an uns selbst zu glauben, die uns erlauben, uns etwas zuzutrauen, dann können wir vielleicht ein bisschen leichter dem trauen, was uns in der Bibel immer wieder zugesagt ist: nämlich, dass die göttliche Geistkraft nicht nur Jesus befähigt hat zu heilen, zu prophezeien, von Gott zu erzählen, sondern dass auch jedem und jeder von uns solche Gaben gegeben sind.
Denn das find ich schon ziemlich stark, was uns das zugesagt wird.

Ich bin aber eigentlich ganz überzeugt, dass wir sehr viel mehr könnten, als wir für möglich halten.
Wäre schade, wenn wir nicht noch einiges davon entdecken und leben würden. Schade für uns, schade für die anderen, schade für die Welt.

Das eigene Licht hüten

Gedanken zu Mt 25,1-13 (Die klugen und die törichten Jungfrauen)

Dieses Evangelium ist wieder einmal eines, mit dem ich zunächst so meine Mühe hatte. Weil alle die Stellen, in denen in der Bibel damit gedroht wird, dass es irgendwann zu spät sein wird, dass alle, die nicht gut genug vorbereitet, nicht wachsam genug sind, die Tür verschlossen vorfinden werden oder sogar in die „äußerste Finsternis“ geworfen werden, gar nicht zu meinem Bild von Gott passen.

Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass Gott mit unendlicher Liebe und Sehnsucht auf uns wartet und uns empfangen wird, wann immer wir kommen und egal wie lange wir brauchen.

Gut, das kann es also nicht sein.

Im nochmaligen Lesen ist mir dann etwas Interessantes aufgefallen. Hier werden die schlauen, die klugen Jungfrauen dafür belohnt, dass sie sich nicht um die anderen kümmern, dass sie ihr Öl nicht teilen.
Also nicht gerade das, was wir üblicherweise als „christlich“ empfinden!

Predigt uns die Bibel an dieser Stelle das, was wir auch in unserer Welt Tag für Tag hören? Du musst für dich selber sorgen, du musst schauen, dass du besser als die anderen bist, dass du bekommst, was du willst.

Fast sieht es so aus, als ob die klugen Frauen die wären, die die anderen zum Händler schicken und so selbst ungestört mit dem Bräutigam in den Festsaal ziehen können.
Das bleibt für mich irritierend!

Und doch finde ich es spannend, dass wir hier eine Bibelstelle mit einer ganz anderen Moral haben, denn üblicherweise wird uns doch vor allem nahegelegt, gut auf die anderen zu schauen und uns selbst nicht so wichtig zu nehmen.

So möchte ich heute an dem Gedanken weiterdenken, dass es sein könnte, dass uns die Bibel hier sagt: die erste Verpflichtung heißt, gut für sich selber zu sorgen, darauf zu achten, dass das Licht, das in mir brennt, nicht erlischt.

Dass ich dafür sorge, dass ich immer ausreichend Öl bei mir habe, um es zu nähren. Und dass ich nicht erwarten sollte, dass andere das für mich tun werden.

Das ist durchaus ein Gedanke, mit dem ich viel anfangen kann. Denn ich kenne so viele Menschen, gerade im kirchlichen Bereich und gerade Frauen, die so sehr damit beschäftigt sind, sich um alle anderen und alles andere zu kümmern und dabei übersehen, wie ihre Lebenskraft, ihre Lebensfreude, ihre Lebenslust verkümmert.

Ich finde interessant, dass da die heutige Bibelstelle das gleiche Bild verwendet wie unsere Medizin: ausbrennen.
Burn out nennen wir es heute, wenn die Balance zwischen geben und nehmen, zwischen aktiv sein und innehalten, zwischen funktionieren und mich spüren nicht mehr stimmt und wir deshalb unsere Kraft, unsere Freude, unsere Lebendigkeit verlieren.

Menschen, die immer für andere da sind, erwarten dann oft, dass sie für ihre viele Mühe als Ausgleich Dankbarkeit, Anerkennung oder Wichtigkeit bekommen. Das ist für mich dann die Hoffnung: die anderen geben nun mir, was ich brauche, von ihnen bekomme ich das Öl, das mich weiter brennen lässt.
Doch das geschieht dann sehr oft nicht bzw. es wird deutlich, dass das so nicht funktioniert. 

Denn um das, was in mir brennt, kann letztlich nur ich selbst mich wirklich kümmern. Das kann mir niemand abnehmen.

Mir kommt dazu ein Text von Irmgard Moldaschl in den Sinn:
„Ein Licht habe ich angezündet in dir und nähre die Flamme mit Zärtlichkeit und Geduld. Schön bist du, wie du leuchtest so hell.“
Dass wir diese Zusage Gottes haben, davon bin ich ganz überzeugt.

Und doch sollten wir vielleicht nicht Gott allein die Sorge für dieses Licht überlassen oder ihm/ihr zumindest die Chance geben, es zu nähren.

Wenn ich komplett eingedeckt bin mit meinem Alltag und all seinen Anforderungen, dann ist es sogar für Gott schwierig bis zu mir durchzudringen.

Und wenn ich so gut geschützt bin, dass mich möglichst nichts mehr verletzen und damit auch nichts berühren kann, wie soll dann das Leben in mir genährt werden?

Vielleicht kann uns ab und zu eine Kerze, die wir anzünden, auch an das Licht erinnern, das in mir brennt und das es zu hüten und zu nähren gilt.
Und zu wissen, dass Gott mit uns ist, wann immer wir das tun.

Über die Notwendigkeit der Verbundenheit

Gedanken zu Joh 15,1-8 (Weinstock und Reben)

Bei dieser Bibelstelle kommen mir als Erstes Auslegungen in Erinnerung, die behaupten, dass mit dieser Stelle gesagt werden soll, wir müssen uns anstrengen, müssen Frucht bringen, d.h. etwas leisten, denn sonst schneidet Gott uns ab, verwirft uns, wirft uns ins Feuer...

Und wie so oft stellt sich beim genaueren Lesen heraus: so steht das hier gar nicht. Eigentlich ganz im Gegenteil: hier steht gar nichts von Anstrengung und Mühe, hier steht, dass wir mit Jesus und damit mit Gott verbunden sind und dass es wichtig ist, diese Verbindung nicht zu verlieren.

Dass wir das nicht erreichen müssen, sondern dass es einfach so ist. Wir sind ein Teil Gottes und Gott ist ein Teil von uns.
Es gibt dazu eine kurze Geschichte, die ich gern mag – von Anthony de Mello (gegendert):

Eine Frau kommt zu ihrer Lehrmeisterin und fragt: Wie sucht man die Einheit mit Gott?
Je mehr du suchst, umso größer wird die Entfernung zwischen Gott und dir.
Wie überwindet man die Entfernung?

Begreife, dass sie nicht wirklich vorhanden ist.
Bedeutet das, Gott und ich sind eins?
Nicht eins, nicht zwei.

Die Sonne und ihr Licht, das Meer und seine Wellen, die Sängerin und ihr Lied. Nicht eins und nicht zwei.

Den Gedanken, dass die Verbundenheit mit Gott etwas ganz Einfaches, sozusagen der Normalzustand sein könnte, berührt mich immer wieder und eigentlich weiß ich auch, dass es so ist.

Die Verbundenheit entsteht nicht dadurch, dass ich mir große Mühe gebe, gut zu sein, sondern dadurch, dass ich die Verbundenheit zulasse, nicht verhindere. Und eigentlich ist es verblüffend, wie viele Strategien die meisten von uns haben, das Erleben von Verbundenheit zu verhindern: z.B. sehr beschäftigt sein, niemals zur Ruhe kommen, nicht zulassen, dass ich mich selbst spüre.

Und immer wieder muss ich auch ein wenig Abschied nehmen von der Phantasie, so ganz eigenständig und unabhängig zu sein, nichts und niemand zu brauchen.
Mich einlassen auf andere Menschen und auf Gott, mich berühren lassen.
Mir eingestehen, dass ich nicht leben kann ohne diese Verbundenheit, macht mir immer wieder auch ein wenig Angst, denn ich spüre dann, dass ich bedürftig bin und angewiesen und dadurch natürlich auch verletzlich. Und doch kann Beziehung nur geschehen, wenn ich genau das zulasse, menschliche Beziehung genauso wie die mit Gott.

In Beziehung zu sein, ist beglückend und tut immer wieder auch weh. Aber ich habe eigentlich keine Wahl: wenn ich mich für die Isolation entscheide, gehe ich verloren, kann ich nicht leben. Und genau das wird für mich auch in diesem drastischen Bild des Absterbens und ins Feuer geworfen Werdens ausgedrückt. Ich glaube, es ist nicht als Strafe gedacht, sondern beschreibt eine Realität: für sich allein kann niemand leben.

Es tut mir gut, immer wieder anzuerkennen, dass ich ein Teil eines größeren Ganzen bin, Teil dieser Welt und ein Teil Gottes, und das umfasst auch die Menschen, die vor mir waren, die, die mich ein Stück begleitet haben, und ein wenig wohl auch die, die nach mir kommen werden und denen ich den Weg bereite durch alles, was ich in dieser Welt tue oder auch lasse.

Und zugleich erinnert mich die Verbundenheit mit Gott auch daran, dass ich eine unverlierbare Würde habe.
Es stimmt für mich schon lange nicht mehr, im Gottesdienst zu beten: Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach.
Denn wenn wir ernstnehmen, dass wir untrennbar mit Gott verbunden sind, dass Gottes Geist in uns lebt und wirkt, wie können wir dann jemals nicht würdig sein?

Es wurde Christinnen und Christen viel zu lange eingeredet, dass sie nicht würdig, immer schuldig und sündhaft sind und der Erlösung bedürfen. Natürlich werden wir immer wieder schuldig, natürlich brauchen wir immer wieder Verzeihung und Heilung. Aber wir sind im Grunde unseres Wesens gut, nicht weil wir uns so anstrengen, sondern weil Gott uns so geschaffen hat. Und weil – wie es in der Bibelstelle heißt – der Glanz Gottes durch uns in der Welt sichtbar werden soll.

Wir dürfen uns von Gott, die nicht nur Weinstock sondern auch Gärtnerin ist, immer wieder reinigen lassen, Abgestorbenes, Krankes wegnehmen lassen. Vor allem aber dürfen wir vertrauen, dass Gott mit unendlicher Geduld und Liebe alles tut, damit wir wachsen, reifen und in unserer ganz eigenen Weise Früchte tragen, die wir selbst und andere genießen können.